Equinox by Jörg Juretzka

Equinox by Jörg Juretzka

Autor:Jörg Juretzka [Juretzka, Jörg]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2011-11-22T16:00:00+00:00


»Komm rein«, hauchte sie und hielt mir die Tür auf, kaum dass ich geklopft hatte. »Bitte«, sagte sie, griff nach meinem Arm und zog mich hinein in ihre Kabine, »erzähl mir alles; alles, was du weißt.«

Sie war ungeschminkt und - jeija! - barfuß und hatte ihr Haar in einen fliederfarbenen Frotteeturban gewickelt und die ranken Glieder in einen apricotfarbenen Bademantel aus dem gleichen dickflauschigen Material. Letzte Dampfschwaden kamen aus dem Bad gewabert, angereichert mit ätherischen Ölen teurer Seifen und Cremes und noch teurerer Parfüms, alles in der Dimension eines Hauchs und trotzdem eine Mixtur, die die Sinne reizte wie die Vorahnung von edlem Sex zwischen schönen Menschen auf kostbaren Materialien und -

»Komm«, sagte sie, und ihr Griff um meinen Arm war fest, beinahe prüfend, wie auf der Suche nach Stärke, Halt, »ich mache uns Kaffee.«

Anders als Fjodrs Kabine lag ihre im Personaltrakt, hatte jedoch die gleichen Maße, das heißt, sie war genauso groß wie die übliche Passagierkabine. Oder, anders ausgedrückt, sie hatte rund doppelt so viel Quadratmeter wie die Bude, die ich mir mit Scuzzi und Jochen Fuchs teilen musste. Die Einrichtung war simpel, doch das erstaunlich schmale Einzelbettt war tatsächlich mit kühler silbergrauer Seide bezogen, und auf sämtliche waagerechten Flächen verteilt lagen Gegenstände der Bekleidung, persönlichen Ausstattung, Zeitmessung, Telekommunikation, Unterhaltungselektronik und sonstiger Zerstreuung herum, deren gemeinsamer Nenner ein exquisit hoher Anschaffungspreis zu sein schien. An eine Wand war kunstvoll ein schwarzes Cape mit blutrotem Futter drapiert, und über dem schmalen Bett hing eine, wie es aussah, japanische Tuschezeichnung einer, wie es aussah, Geisha, die es, wie es aussah, gleich zwei, wie es aussah, Samurai, wie es … ääh, aussah, besorgte.

»Nun rede schon«, forderte Carla, unruhig, riss mich aus meinen Observationen und wies mir einen Stuhl an einem an die Bordwand geschraubten Esstisch zu.

»Schmales Bett«, sprach ich aus, was mir gerade durch den Kopf ging, eine Angewohnheit, die mich unter bestimmten Umständen ähnlich geheimnisvoll und schwer durchschaubar macht wie die Gebrauchsanweisung für einen Kamm.

»Ja, Carla schläft hier allein«, meinte sie kapriziös. »Für … Spiele … hat sie noch einen anderen Ort.«

Ich fragte mich nicht wirklich, was für Spiele sie damit wohl meinen könnte. Nein, nicht eine Sekunde.

»Doch zurück zum Thema: Du hast gesagt: >Genau wie …<. Genau wie wer?« Routiniert bediente sie eine kleine hellblaue Espressomaschine, die die üblichen gequetschten, bratzelnden und prutschelnden Geräusche von sich gab.

Dies könnte eine allmorgendliche Szene für uns sein, dachte ich, und meine Erschöpfung das Resultat intensiver, ausdauernder nächtlicher … Spiele. Ich riss mich zusammen.

»Genau wie Wassilij Kryvidnadse wurde Fjodr geköpft«, sagte ich, und Carla ließ eine Tasse fallen. Schaute einen Moment lang fassungslos hinab auf die Scherben.

»Mein Gott«, keuchte sie und biss sich auf die volle, zitternde Unterlippe, und als sie sich zu mir drehte, war der Blick ihrer unbebrillten, blassen Augen ernst und - voller Angst.

Ich begann mich intensiv zu fragen, ob mit mir etwas nicht in Ordnung war. Entweder bei dem Zusammentreffen gestern oder bei diesem Gespräch heute musste es sich um eine Halluzination handeln. Oder um eine Verwechslung. Anders war der eklatante Unterschied zwischen der Frau gestern und der Frau heute nicht zu erklären.



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